Dies ist die
Geschichte einer Heilung,
einer unerwarteten und für mich immer noch verblüffenden und erstaunenden,
für die ich sehr, sehr dankbar bin. Es fällt mir nicht leicht zu erzählen,
was ich erlebt habe - und es wäre falsch, es nicht zu tun, weil es Hoffnung
geben kann für Andere.
Wer bin ich - ich bin eine Frau, Mitte vierzig und bin mit einem
liebevollen Ehemann verheiratet. Wir haben eine große Familie, ein
geregeltes Einkommen, ich selber arbeite im medizinischen Bereich.
Allerdings litt ich seit meiner Kindheit (seit meinem 7. Lebensjahr) an
einer endogenen Depression und seit meiner Jugend an Migräne - beides
verbarg ich allerdings hinter einer perfekten Fassade (schon allein, damit
meine Approbation nicht gefährdet war). Psychotherapien unterschiedlichster
Schulen hatte ich hinter mir - diverse Ausbildungen in
psychotherapeutischen Verfahren ebenfalls - an der Grundproblematik hatte
sich nichts geändert.
Irgendwann stieß ich dann auf Literatur von Anselm Grün. Es war eine
interessante Verbindung von Psychotherapie und Religion, und er bot Kurse
im Kloster in Münsterschwarzach an, für die es lange Wartelisten gab. Ich
bot auch Kurse an - was machte er, was ich (noch) nicht konnte, wie
fesselte er seine Zuhörer? Ich meldete mich zu seinen Kursen an und bekam
eine Absage. Im Jahr darauf bekam ich Anfang des Jahres einen Brief, dass
ich einen Platz dann im Schweigeseminar im Oktober bekommen könnte.
"Zufällig" lagen direkt danach Schweigeexerzitien, zwar von einem
anderen Pater, aber Schweigen wollte ich schon lange mal
ausprobieren. Ob ich es schaffen würde, das Schweigen durchzuhalten, was da
wohl, psychologisch gesehen, passieren würde - Neugierde war schon immer
ein Hauptantrieb für mich.
Während des Jahres wurde meine endogene Depression unerträglich. Entweder
ich war euphorisch, arbeitete wie wahnsinnig und schlief nur drei bis vier
Stunden, oder ich konnte kaum noch an etwas anderes denken als an
Selbstmord. Dann lief ich wie eine Aufziehpuppe durch die Gegend und musste
mich zu jeder Bewegung zwingen. Normale Phasen gab es fast gar nicht mehr.
Ich fragte einen Psychiater, der sagte, es gäbe keine andere Möglichkeit
als permanent Medikamente zu nehmen, nur die Depression alleine zu
bekämpfen sei unmöglich. Es war also abzusehen, dass ich dauerhaft Tabletten
nehmen müsste und mit derartigen Medikamenten dann auch nicht mehr im
medizinischen Bereich arbeiten könnte. Dazu kamen massive
Herzrhythmusstörungen und Panikattacken, die Migräne hatte inzwischen zu
Arzneimittelmissbrauch (mit den üblichen Versuchen von den Medikamenten wegzukom-men) und auch zum Gebrauch von Alkohol
geführt. - Trotz alldem kam ich nicht etwa suchend, einsichtig oder gar
reumütig ins Kloster - nein ich wollte "es" einfach wissen,
ausprobieren.
Der Kurs von Pater Anselm führte neben dem Schweigen auch in verschiedene
Möglichkeiten des Gebets ein. Zu dem Zeitpunkt war ich nicht sonderlich
aktives Mitglied der evangelischen Kirche. Ab und zu ging ich zum
Gottesdienst, wenn ein Pfarrer predigte, den ich schätzte. Dabei hielt ich
mich natürlich für einen guten Christen! Gebet bestand für mich im Sprechen
des Vaterunsers - nun lernte ich still zu werden, mich loszulassen vor
Gott, vor dem Kreuz und im Gebet dann vor dem Herrn auch das auszusprechen,
was mich wirklich bewegte. Und irgendwann begriff ich, dass ich nicht hier
im Kloster war, um etwas auszuprobieren oder um noch besser zu werden. Dies
hier war meine Chance.
Am letzten Tag des Kurses hatte ich ein Einzelgespräch mit Pater Anselm.
Ich wollte beichten, weil ich unerträgliche Schuldgefühle wegen meiner
"grundlosen" Depressionen und Suizidgedanken hatte. Er hörte zu,
fragte, ob ich diese Gedanken steuern oder unterdrücken könnte. Nein, das
konnte ich nicht, ich wusste ja, dass ich keinen "Grund" hatte,
mich umzubringen, dass es idiotisch war. Dann sei es keine Sünde, sondern
eine Krankheit und gleichzeitig ein spiritueller Weg. Ich sollte mir feste
Gebetszeiten schaffen, wie Oasen in der Wüste. Wenn die Depression oder die
Euphorie käme, sollte ich unbedingt die festen Riten einhalten. Jede dunkle
Nacht könnte einen Schritt weiterführen. Diese Umdeutung passte und
entlastete mich erst mal.
In den darauffolgenden Schweigeexerzitien, die Pater Benedikt Müllers
leitete, gab es jeden Tag einen Text aus der Bibel - mit dem sollte man
sich beschäftigen während des Schweigens. Ich bekam eine Heilungsgeschichte
nach der anderen. Natürlich wollte ich alles perfekt machen - ein paar
Textinterpretationen von Pater Anselm Grün kannte ich schließlich - die
nutzte ich dann in den Begleitungsgesprächen mit Pater Benedikt. Er kannte
sie natürlich auch, hörte mir geduldig zu und ließ mich gewähren. Nur ab
und zu stellte er nebenbei kleine Fragen - zum Beispiel, was so ein
biblischer Text mit mir zu tun habe? Solche Fragen ignorierte ich
geflissentlich. Allerdings wirkten sie unbewusst und sanft in der Tiefe
weiter. Gegen Ende der Exerzitien war ich endlich seit Monaten das erste
Mal ruhig, konnte nachts sechs bis sieben Stunden schlafen und normale Tage
erleben. Schon das war ein kleines Wunder für mich. Zu dieser Zeit entstand
irgendwo in meinem Hinterkopf eine bohrende Frage, und sie schien von
Christus zu kommen (und das war doch unmöglich - oder nicht?): "Willst
du dich wirklich von mir heilen lassen?" Was heißt heilen lassen?, natürlich wollte ich die Depression loswerden, aber
heilen lassen? Jede ausweichende innere Antwort machte diese Frage nur
intensiver. Ich mochte dieses Thema nicht ansprechen und nahm die Frage aus
den Exerzitien mit nach Hause.
Im letzten Begleitungsgespräch meinte Pater Benedikt dann, das wäre ja
alles ganz schön, würde aber vermutlich nicht reichen, falls ich doch noch
mal etwas brauchte, sollte ich mal in Berlin in der Neuen Kantstraße
schauen, da gäbe es einen Pater Tommek, mit dem hätte er die Ausbildung
zusammen gemacht, den könnte ich mir dann ja suchen. Besonders ernst habe
ich diesen Hinweis nicht genommen.
In der Abschiedsrunde erzählten dann alle Leute von ihren Erlebnissen - ich
schaute, dass ich ganz am Anfang dran war und es kurz machen konnte - ja
vielen Dank, es geht mir viel besser als vorher, wünsche allen alles Gute.
Abschiedsrunden mochte ich noch nie, so fing ich an zu träumen - und
plötzlich stand ein Bild vor meinen Augen: Ein Engel wälzt den Stein vor
einem Hügelgrab weg, und ich laufe heraus und bin frei! Ein nie gekanntes
Gefühl von Freiheit und Freude durchströmte mich. Ich kämpfte mit den
Tränen (was wahrlich nicht meine Art ist) und war erstmals unendlich
dankbar. Gleichzeitig versuchte ich, mich gegen das Bild und den Glauben an
Engel zu wehren. Dann fuhr ich nach Hause - und das Gefühl der Freiheit
hielt an, drei Wochen lang, bis mich die nächste Depression erwischte.
Lange kämpfte ich mit meinem Stolz - sollte ich wirklich diesen Pater in
der Neuen Kantstraße anrufen? Beten konnte ich doch so auch, und ich hatte
eh so wenig Zeit! Was sollten ein paar Gespräche schon groß ändern,
jahrelange Therapie hatte ja auch nicht viel gebracht. Endlich war ich weit
genug unten um aufzugeben, wenn ich mich eh umbringen würde, war es auch
egal, mit wem ich vorher redete. Ich fing an, im Internet zu suchen, fand
irgendwann die Seite der Glaubens- und Lebensschule und las den Text über
geistliche Begleitung. Bücher über geistliche Begleitung hatte ich schon
gelesen - wollte ich mich darauf einlassen? Ich versuchte zu beten, und im
Gebet wurde mir klar: Wenn ich das tue und dorthin gehe, dann muss ich das,
was dieser Priester mir sagt, als bindend für mich akzeptieren, sonst kann
ich es auch gleich sein lassen. Tausend Gedanken schossen mir durch den
Kopf: Noch nie in meinem Leben habe ich irgendeine Autorität akzeptiert,
wer bin ich denn, weiß ich, was der mir sagt, und ob ich das will? Wieder
tagelange Kämpfe in mir, und irgendwann war die Verzweiflung schlimm genug:
Wenn dieser Pater die geistliche Begleitung übernehmen würde, würde ich
sein Wort als bindend akzeptieren. Dann rief ich an. Eine etwas ältere
freundliche Frauenstimme fragte nach, klang etwas verwundert und gab mir
einen Gesprächstermin.
Pater Tommek wirkte eher zurückhaltend, aber nicht unfreundlich, es gab
eine kurze Vorstellung und Begrüßung und dann nur einen Satz: "Wir
können beginnen." Es war, als ob mir der feste Boden entzogen würde,
keine Fragen, kein Nachforschen, was ich denn eigentlich wollte, nur freier
Raum - langsam und zögernd fing ich an, legte alles auf den Tisch, was da
so in mir war, und worum es gehen würde. Und alles durfte da sein - es gab
keine Bewertung, keine Verurteilung und kein Lob. Es war sehr schwer zu
begreifen: Alles darf da sein vor Christus! Am Ende des Gespräches sagte Pater
Tommek, die Beichte würde er mir nicht abnehmen, das sei zu früh. (Auf die
Idee zu beichten war ich gar nicht gekommen - so schlimm fand ich das alles
nicht). Dann schlug er vor, ein Gebet für mich zu sprechen. Er legte mir
die Hand auf die Schulter und betete für mich - und plötzlich, während des
Gebets, gab es mitten in meiner Verzweiflung wieder Hoffnung. Eine mir
unbekannte Zustimmung kam auf: ja so ist es richtig, so stimmt es, so muss
es sein. Danach gab er mir einen neuen Termin für ein weiteres Gespräch,
wenige Tagen später - zuerst erschrak ich, weil es
so bald war, dann kam wieder diese ungewohnte Zustimmung.
Zu Hause fand ich plötzlich häufiger doch noch Zeit für ein längeres Gebet,
und diese Gebete gewannen immer mehr an Tiefe. Und die Hoffnung und das
Vertrauen in Christus wuchs von Gespräch zu Gespräch - von Gebet zu Gebet.
Die Depression verschwand in den nächsten Wochen fast unmerklich und wurde
auch nicht mehr von einer Euphorie abgelöst.
Irgendwann nach 2 oder 3 Monaten in einem Gespräch kam dann mein Umgang mit
meinem Körper und der damit zusammenhängende Medikamentenmissbrauch auf den
Tisch - mehrere Schachteln im Monat. Dann kam eine harmlose kleine
Bemerkung von Pater Tommek, die Sprache des Körpers sei eine Möglichkeit
für Gott, sich auszudrücken. Darauf zu hören und danach zu leben, sei
Gehorsam im religiösen Sinn. Mehr nicht, keine Vorhaltungen, keine
Nachfragen in späteren Gesprächen. Am Ende dieses Gespräches betete Pater
Tommek ein Befreiungsgebet wegen meiner Kopfschmerzen. Zweifelnd saß ich da
- trotzdem traten meine Kopfschmerzen danach nicht mehr mehrmals
wöchentlich, sondern nur noch alle paar Wochen einmal auf. Von dem Moment
an war es fast unmöglich, Medikamente zu nehmen - einmal habe ich es danach
noch getan - mehr aus Angst, beim Autofahren sonst Fehler zu machen. Es
wäre eigentlich nicht nötig gewesen. Danach nie mehr.
Langsam verlernte ich im Laufe der folgenden Monate auch meine absolute
Perfektion und fing an, mein Leben unter christlichen Gesichtspunkten
anzuschauen. Jetzt begann ich auch die Beichte als heilendes und
entlastendes Sakrament verstehen zu lernen.
Der Beginn meiner Erlebnisse ist jetzt drei Jahre her - in dieser Zeit
hatte ich nur noch ein einziges mal
eine leichte Depression. Meine Kopfschmerzen sind minimal im Vergleich zu
früher, und seit damals habe ich nie mehr Schmerzmittel verwendet. Auch
Panik kenne ich nicht mehr - sie ist dem Vertrauen in Jesus Christus
gewichen. Mein Leben hat sich sehr verändert, Meditation und Gebet haben
ihren festen Platz in meinem Tageslauf. Ich habe mein geistiges Zuhause in
der katholischen Kirche gefunden und habe deswegen die Konfession
gewechselt. Mein Grundgefühl ist heute eine Mischung aus Staunen und
Dankbarkeit. Staunen erfasst mich immer wieder darüber, dass Christus auch
heute noch heilt und welche ungeahnte Freiheit des Lebens der Glaube mir
ermöglicht. Tiefe Dankbarkeit empfinde ich gegenüber meinem Herrn Jesus
Christus und gegenüber den Menschen, die mich begleitet haben und
weiterbegleiten.
Anke Charlotte H.
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